Rosa Lehmann: Eigentlich ganz froh über diese Kündigung

Alfons Lehmann 1939Rosa Lehmann 1939

Alfons und Rosa Lehmann 1939. Quelle: Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Wir waren gerade ein Jahr verheiratet damals. Die Wohnung war uns zu groß, und Geld konnten wir natürlich auch gut gebrauchen. Da haben wir eben Zimmer vermietet.

Es hatten sich schon einige Herren gemeldet, die das Zimmer haben wollten. Ich hatte mich nur noch nicht entschließen können. Mein Mann sagte schon, vielleicht sollen wir es doch lieber lassen. Ich erwartete nämlich gerade unser erstes Kind.

Irgendeinen musste ich ja nun nehmen. Das ständige Klingeln an der Tür war ich leid. Und der Mann machte einen so bescheidenen und ruhigen Eindruck, da habe ich ihn gesagt, er könnte das Zimmer haben.

Unser Zimmer kostete vier Mark in der Woche. Damit schien er ganz zufrieden zu sein. Er nahm es.

Er hatte viele Kisten bei sich und fragte gleich, ob er sie in den Keller stellen könnte. Mein Mann half ihm dabei. Mit in die Wohnung brachte er nur einen hölzernen Truhenkoffer. Er war für das kleine Zimmer viel zu groß. Wir mussten ihn in der Diele stehen lassen.

Einmal haben wir ihn allerdings überrascht. Wir öffneten die Etagentür. Da saß er vor seinem offenen Koffer. Er blätterte in einem dicken Aktenordner. Wir haben uns gewundert, dass er den Ordner aufgeregt in den Koffer warf und den Deckel zuschlug. Er war ganz blass geworden.

Damals haben ein kleiner Schrank, ein dunkler Schreibtisch und das Bett dringestanden. Auf dem Schreibtisch hatte Elser immer eine Uhr stehen. So eine, wie man sonst auf den Wohnzimmerschrank stellt.

Er hat uns gesagt, er wäre auch Erfinder. Einmal hat er ein Reißbrett haben wollen. Wir konnten ihm aber keines geben. Es wäre auch in das kleine Zimmer gar nicht mehr hineingegangen.

Allen Handwerkern in der Nachbarschaft ist er auf die Nerven gegangen. Überall hat er etwas arbeiten wollen. Mal beim Schlosser, dann beim Tischler, dann beim Mechaniker. Er konnte betteln wie ein kleines Kind.

Oft war er die ganze Nacht nicht im Hause. Gemerkt habe ich es meist nur daran, dass er morgens, wenn ich ihm das Frühstück bringen wollte, noch fest schlief. Er stand dann erst gegen Mittag auf.

Tagsüber war er fast immer im Hause. Er ging erst am Spätnachmittag fort, wenn es bereits anfing, dunkel zu werden.

Eines Morgens klopfte ich an seine Tür. Ich wusste nicht, ob er zu Hause war. Er gab keine Antwort. Da bin ich hineingegangen. Elser lag im Bett und sagte, er könne nicht aufstehen.

Er sagte, es sei nur eine leichte Entzündung an den Knien. Er wäre wohl zu viel gelaufen. Mit ein bisschen Ruhe würde das schon wieder weggehen.

Acht Tage hat er etwa im Bett gelegen. Ich hab ihm ab und zu mal was zu essen 'reingebracht. Aber einen Arzt wollte er nicht haben. Nach acht Tagen ist er wieder aufgestanden. Er lief noch ganz schwerfällig. Aber sofort fing das alte Leben wieder an. Nie war er nachts zu Hause.

Am 15. Oktober kam mein Mann abends und erzählte mir, der Herr Elser hätte gekündigt. Zum 1. November. Ich war überrascht, weil er vorher nie davon gesprochen hatte. Aber mein Mann und ich waren eigentlich ganz froh über diese Kündigung.

Am 23. Oktober kam ich mit unserem Stammhalter aus dem Krankenhaus nach Hause. In den acht Tagen bis zum Letzten habe ich Herrn Elser fast gar nicht mehr gesehen. Er war noch weniger zu Hause, als vorher.

Am 31. Oktober ist er dann ausgezogen. Mit seinen vielen Kisten und Koffern. Er sagte uns, dass er noch einmal vorbeikommen würde. Wenn vielleicht Post für ihn kommen sollte. Dabei hat er in der ganzen Zeit, in der er bei uns wohnte, nicht eine einzige Postkarte bekommen.

Ich konnte mit dem Säugling nicht gut aus dem Hause gehen. Da haben wir Herrn Elser gebeten, sich selbst im Polizeipräsidium in der Ettstraße abzumelden. Später haben wir erfahren, dass er das nicht getan hat.

Es war [Anfang November] um die Mittagszeit. Es schellte. Vor der Tür stand ein Mann mit einem großen Schlapphut. Ich habe ihn kaum wiedererkannt. Aber dann fragte er nach der Post. Es war der Herr Elser.

Er ist gar nicht erst in die Wohnung gegangen. Er hat sich schon an der Etagentür wieder verabschiedet.

Ein paar Tage nach dem Attentat kamen Kriminalbeamte in unsere Wohnung und verhafteten meinen Mann. Man hatte auf dem Polizeipräsidium in der Ettstraße festgestellt, dass der Elser noch bei uns gemeldet war. Mein Mann hat fast vier Wochen im Polizeipräsidium gesessen, bis er freigelassen wurde.

Jeden Tag kamen SS-Leute oder Kriminalbeamte zu mir in die Wohnung. Stundenlang wurde ich verhört. Jede Kleinigkeit über Herrn Elser wollte man wissen. Alles wurde Wort für Wort protokolliert.

Quelle: Günter Peis, Zieh' dich aus, Georg Elser!, Bild am Sonntag (8.11.1959, 15.11.1959, 29.9.1959), Hamburg 1959


Vom 1. September bis 30. Oktober 1939 wohnte Georg Elser in der Türkenstraße 94 in München. Hier stellte er die Bombe fertig, die er in mehr als dreißig Nächten im Bürgerbräukeller in einer Säule einbaute. Alfons und Rosa Lehmann hatten ihm das kleine Zimmer vermietet.

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