Unauffällig liquidieren, beim nächsten Luftangriff:
Gestapo-Brief vor Kriegsende nach Dachau.
Im Krematorium des KZs wird Elser
- geboren 1903 in Hermaringen -
vermutlich stranguliert, vielleicht erschossen:
die Zeugen, jetzt pensionsberechtigt, schweigen,
da sie die Mörder sind...
Elf Monate vor Hitlers Weltkrieg
geht Elser, Sprengstoff zu entwenden,
als Hilfsarbeiter in den Steinbruch:
ein Deutscher ist so konsequent wie Hitler.
Gefoltert ein Jahr später, verhör-zermürbt
- er glaubt, Gott habe seine Tat verworfen -
nennt Elser ungebeugt nur ein Motiv:
Friede oder - Hitler! Ein Tell totalitärer Zeiten,
so viel vereinsamter als der des Mythos,
wie Hitlers Volk den Zwingherrn liebt,
der in Europa fünfzigmal mehr Menschen,
als vor dem Krieg in München leben,
in Gräber wirft, auf Aschehalden,
dreihunderttausend vor die Fische...
Friede oder - Hitler! Der Tell totalitärer Zeiten,
Einsamster in seinem Volk: Das würde ihn fast kollektiv
verraten, weil es den Führer liebt wie Bier
und Beischlaf - sogar noch, ja dann erst recht,
seit Hitler fünfzigmal mehr Menschen, als vor
dem Krieg in München wohnten, in Gräber wirft,
auf Aschehalden, dreihunderttausend vor die Fische.
Vier Wochen früher als die Wehrmacht losbricht,
bricht Elser aus der Säule, die den Saal stützt
(hier hetzt der Führer jedes Jahr die Mitbanditen auf)
die ersten Steine für die Pulverkammer.
Kniet fünfunddreißig Nächte vor der Säule
- ein Bluterguss im Knie wird ihn verraten.
Die Taschenlampe abgeschirmt; Schutt, Steine
Trägt er in einem Köfferchen zur Isar.
Sechs Tage vor der Explosion
Uhrwerke, Zünder abzustimmen:
die Polizei glaubt nicht, dass er das konnte,
bevor er die Maschine nachgebaut hat.
So oft er - vierzigmal - zum Tatort schleicht,
betritt er Kirchen, das beruhigt ihn...
Der Schwabe war nach sieben Dorfschuljahren
der prüfungsbeste Tischler-Lehrling.
Musiziert in Vereinen, spielt vier Instrumente,
beliebt bei Frauen, ehelos - Verwandte
schimpfen ihn rechtsversessen; Politik
ist ihm nur Kampf um Recht; wählt stets KP
"Ein Arbeiter", erklärt er den Verhörern
"Muss Euer Feind sein!" - hat für Tat und Leben
im Monat weniger als hundert Mark; noch zehn
am Tage, als er in die Schweiz will.
Die Schwester schenkt ihm dreißig.
Damit reist er zurück nach München,
um seine Uhren nachzuprüfen... In Konstanz,
schon in Haft, hört er im Radio Adolf Hitler
Den Saal zu früh verlassen - elf Minuten!
Sechs Nazis tot, fünf Dutzend sind verwundet...
Nach drei Jahrzehnten nennt sein Heimatdorf
nach Johann Georg Elser eine Straße
- doch keine deutsche Stadt, nicht eine.
Dies Volk liebt zwar die Freiheit - doch nicht jene,
die starben, um es zu befreien.
Quelle: Rolf Hochhuth, War hier Europa? Reden, Gedichte, Essays, München 1987
Der Schwabe war nach sieben Dorfschuljahren
der prüfungsbeste Tischler-Lehrling.
Musiziert in Vereinen, spielt vier Instrumente,
beliebt bei Frauen, eheloser Vater. Bevor er
aufbricht, muss er die Bassgeige verkaufen:
braucht vierhundert Mark. Gewöhnt den Hund
des Nachtwächters im "Bürgerbräu" an sich:
Bringt täglich Fleisch zum Zwinger
von seinem Mittagsteller dort im Gasthaus.
Hat, als er in die Schweiz will, noch zehn Mark.
Die Schwester schenkt ihm dreißig.
Damit reist er zurück nach München,
um seine Uhren nachzuprüfen... In Konstanz,
schon in Haft, hört er im Radio, dass Adolf Hitler
Den Saal zu früh verlässt nur elf Minuten!
Eine Kellnerin tot, auch sieben Nazis; fünf Dutzend
verwundet. Noch fünfzig Jahre nennt kein Lexikon
den Namen Elser; nennt keine deutsche Stadt, nicht eine,
nennt nur sein Heimatdorf nach Johann Georg Elser
eine Straße: Dies Volk liebt zwar die Freiheit,
doch nicht die, die sich für sie geopfert.
Rolf Hochhuth (* 1.4.1931 in Eschwege) ist einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller und Dramatiker
der Gegenwart.
International bekannt wurde Hochhuth 1963 durch sein Theaterstück "Der Stellvertreter", das sich erstmals
kritisch mit der Haltung des Papstes Pius XII. gegenüber dem Holocaust befasste, die bis
dahin größte und weitreichendste Theaterdebatte der Bundesrepublik Deutschland auslöste
und für erhebliche Kontroversen sorgte.
Georg Elser hat bei Rolf Hochhuth einen starken Eindruck hinterlassen.
Hochhuth ist verwitwet und lebt in Grenzach-Wyhlen, einen Zweitwohnsitz hat er in Berlin.
Hinweis: Inzwischen haben neben dem Geburtsort Hermaringen weitere Orte eine
Straße
nach Georg Elser benannt.