"Ich habe mich damals geschämt"

Anne-Frank-Realschüler diskutieren mit Neffen des Hitler-Attentäters Elser

Am 22. November 2011 konnten die Schüler der Anne Frank Realschule gleich zwei Gäste begrüßen: Renate Franz vom Georg Elser-Arbeitskreis Stuttgart kam auf Einladung des Geschichtslehrers Holger Viereck in die Schule. Franz hielt vor der Abgangsklasse einen anschaulichen Vortrag über Person und Ziele des Hitler-Attentäters Georg Elser. Begleitet wurde sie erstmalig von Georg Elsers Neffen, dem Zeitzeugen Franz Hirth.


VON HOLGER VIERECK

Möhringen. Georg Elser hatte am 8. November 1939 versucht, Adolf Hitler im Bürgerbräukeller in München mit einer Bombe und einem Zeitzünder zu töten.

"Wenige Minuten zu früh hat Hitler die Veranstaltung verlassen", erzählt Renate Franz, "sonst hätte er diesen Anschlag sicher nicht überlebt." Das Motiv des Einzeltäters Elser, so Renate Franz, war klar. Aus den in den 80er-Jahren gefundenen Verhörprotokollen geht klar hervor, dass "Elser den Krieg habe verhindern wollen!" Franz Hirth, der heute 82-jährige Neffe Georg Elsers, hatte mit seinen Erinnerungen spannende und bewegende Ergänzungen zu dem Vortrag beizutragen.

"Das passt bestens zu den Themen, die wir derzeit im Unterricht behandeln", so Holger Viereck, "wir freuen uns, dass das heute mit beiden geklappt hat!" Hirth lebte mit seinen Eltern in Stuttgart und wurde, das macht seine Aussagen so interessant, von Georg Elser einen Tag vor dessen Attentat besucht.

"Er hat mir damals seine Kamera geschenkt und gesagt, dass er, weil er wegen der Arbeit in die Schweiz gehen wolle, sie nun nicht mehr brauche", berichtet Hirth. "Ich habe ihn sehr gemocht, den Onkel Georg, er war immer nett, hat mir das Dreirad repariert und auch sonst viel geholfen." Die Schülerinnen wollten von ihm vor allem wissen, wie er sich gefühlt habe, als ihm klar geworden war, dass sein netter Onkel ein Attentat auf den Führer verübt hatte. "Ich habe mich damals wirklich geschämt und konnte das gar nicht verstehen", sagt er.

Franz Hirth kam noch am selben Tag in ein Kinderheim, seine Eltern wurden zur Gestapo ins "Hotel Silber" in der Dorotheenstraße gebracht und verhört. "Ich wusste ja erst gar nicht, warum. Niemand sprach mit mir darüber. Erst viel später habe ich den Grund erfahren. Das Attentat war nämlich ein Tabu - man sprach nicht darüber, als ob es nicht stattgefunden hätte." Elser wurde in verschiedenen KZs gefangen gehalten. Die NS-Führung wollte ihn in einem Schauprozess aburteilen. Als klar wurde, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war, wurde Elser im April 1945 ohne Gerichtsurteil hingerichtet.

Franz Hirth ist mittlerweile stolz auf seinen Onkel, der dem Unrechtsstaat der NSDAP und Hitler selbst den Kampf angesagt hatte. Dass er dabei sein Ziel verfehlte, lag allein daran, dass das Wetter am 8. November 1939 so schlecht war, dass Hitler eine viel kürzere Rede als sonst gehalten hat. Der mit großem Aufwand in der Säule hinter dem Rednerpult eingebaute Zeitzünder mit der Bombe zerstörte zwar wie geplant das Rednerpult und das Lokal, verpasste den Diktator aber um ganze 13 Minuten. red

Quelle: Stuttgarter Wochenblatt 21.12.2011

Stuttgarter Zeitung 25.11.2011: Der "freundliche Onkel" und das Attentat

Georg Elser in Stuttgart
Kampf um Gerechtigkeit: Das Schicksal der Familie Hirth
Informationen zum Vortrag über Georg Elser