Ein "Attentat" ist keineswegs eine bestimmte, vielleicht sprachlich verballhornte Art einer "Tat".
Das Wort kommt vielmehr aus dem Lateinischen und stand ursprünglich für einen versuchten Rechtsbruch.
VON PETER KOBLANK (2006)
Das Wort Attentat hat seinen etymologischen Ursprung in dem recht vieldeutigen
lateinischen Verb temptare, das für
betasten,
berühren,
streben,
erspähen,
angreifen,
untersuchen oder
in Versuchung führen verwendet werden kann.
Durch Hinzufügen der verstärkenden Vorsilbe ad entsteht adtemptare
mit der Bedeutung von etwas versuchen, in Versuchung führen,
angreifen. Hiervon abgeleitet sind die Verben attemptare und schließlich attentare.
Der juristische Begriff der adtemptatio steht - noch von dem ursprünglichen
adtemptare abgeleitet - im Codex Theodosianus 1, einer spätantiken
römischen Gesetzessammlung aus der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts für einen versuchten
Rechtsbruch.
Mit genau dieser Bedeutung wurde das lateinische attentatum, wörtlich das Versuchte, im 16. Jahrhundert
als Fremdwort in die deutsche Sprache entlehnt.
Seit dem 19. Jahrhundert hat das Wort unter Einfluss des französischen attentat nur noch die Bedeutung des Tötungsversuchs eines politischen Gegners.
Das davon abgeleitete Substantiv Attentäter ist volksetymologisch an die Tat - der Täter angelehnt.
Widerrechtliche Tat und Widerstandsrecht
Ein Attentat ist eine widerrechtliche, eigenmächtige Tat. Der Attentäter sieht sich in der Regel im Dienst
irgendeiner großen Idee, die ihm ein höheres Recht verleiht. Der Zweck heiligt nach seiner Auffassung
die Mittel.
Eine Ausnahme bezüglich der Widerrechtlichkeit bildet jedoch das Widerstandsrecht, das beispielsweise auch im
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland 2 in Artikel 20 verankert ist. Dieses Recht schließt
den Tyrannenmord als letztes Widerstandsmittel gegen einen Diktator nicht aus. Bei einem solchen Attentat wird
die Tötung eines Menschen legalisiert.
Eine ähnliche Auffassung hat übrigens auch Adolf Hitler vertreten. Im ersten Band von "Mein Kampf" 3
schrieb er 1924 während seiner Festungshaft in Landsberg, dass Widerstand nicht nur Recht, sondern
Pflicht sein kann:
Staatsautorität als Selbstzweck kann es nicht geben, da in diesem Falle jede Tyrannei auf dieser
Welt unangreifbar und geheiligt wäre.
Wenn durch die Hilfsmittel der Regierungsgewalt ein Volkstum dem Untergang entgegengeführt wird,
dann ist die Rebellion eines jeden Angehörigen eines solchen Volkes nicht nur Recht, sondern Pflicht. ...
Der Kampf wird demnach solange mit "legalen" Mitteln gekämpft werden, solange auch
die zu stürzende Gewalt sich solcher bedient; es wird aber auch nicht vor illegalen zurückzuschrecken
sein, wenn auch der Unterdrücker solche anwendet. ...
Menschenrecht bricht Staatsrecht.
Auswirkungen eher gering?
Attentate werden von Einzeltätern oder Gruppen konspirativ vorbereitet. Sie haben mehr oder weniger hohe
Erfolgsaussicht und einen in der Regel unkalkulierbaren Ausgang.
Gelingt ein Attentat, so versetzt es dem weiteren Verlauf der Geschichte meist einen sehr viel
geringeren Änderungsimpuls, als von den Attentätern erwartet: Was hat sich beispielsweise durch die
Attentate auf Julius Cäsar (44 v. Chr.), Abraham Lincoln (1865), Zar Alexander II (1881) Mahatma Gandhi (1948),
John F. Kennedy (1963), Martin Luther King (1968), Anwar as-Sadat (1981) oder Jitzchak Rabin (1995) letztlich am Lauf der Geschichte geändert?
Andererseits wird bei Georg Elsers Attentatsversuch auf Adolf Hitler (1939) wohl nicht zu Unrecht gemutmaßt, dass
gerade diese gescheiterte Tat den Gang der Weltgeschichte entscheidend verändert hätte. Wer dies
so einschätzt, kann das aber paradoxer Weise nur, gerade weil es gescheitert ist.
Denn wäre Hitler damals getötet worden und hätte es tatsächlich wenige Jahre später keinen derart
globalen Krieg, kein Holocaust, keine totale Zerstörung Deutschlands, keine Vertreibung gegeben - alles
Ereignisse, die sich 1939 in diesen fürchterlichen Ausmaßen kaum jemand, vielleicht sogar niemand, auch nicht
der Attentäter selbst, vorstellen konnte - dann hätte man später auch nicht gewusst, was einem durch das
Bürgerbräuattentat alles erspart geblieben ist.
Attentatsversuch?
Im vorletzten Absatz müsste Ihnen der Begriff Attentatsversuch aufgefallen sein. Dies ist - insbesondere wenn
man die Wortherkunft aus attentatum, das Versuchte kennt -
kein sinnvoller Begriff:
Ein Attentat ist ein Tötungsversuch, der gelingen oder misslingen kann. Ein Attentats-Versuch wäre demnach ein
Tötungsversuch-Versuch.
Elser hat aber kein Attentat "versucht", sondern ein Attentat ausgeführt. Dies hat acht Menschen das Leben gekostet
und Dutzende weitere zum Teil schwer verletzt. Es hat jedoch sein eigentliches Ziel, Hitler und weitere hohe
NS-Politiker zu beseitigen, nicht erreicht.
Richtig ist an Stelle von Attentatsversuch der Begriff "gescheitertes Attentat".
Zwischen Abscheu und Verehrung
Der Attentatsbegriff ist wertfrei. Er wird unabhängig davon verwendet, ob der Täter nach herrschender
Meinung im Recht war oder auch nicht.
1939 wurde Elsers Bürgerbräuattentat von der überwältigenden Mehrheit der Deutschen mit enormer Abscheu und
Empörung zur Kenntnis genommen. Als sich der hochverehrte "Führer" wenige Jahre später als jemand entpuppt
hatte, der ungeheures Unheil über die Menschheit und nicht zuletzt auch über die Deutschen gebracht hatte, begann
ein Umdenkungsprozess.
Seitdem erwiesen ist, dass Elser weder im Auftrag des britischen Geheimdienstes gehandelt,
noch im Auftrag der Nationalsozialisten ein Attentat nur inszeniert hat, werden
Straßen und Plätze nach ihm benannt, eine Briefmarke gedruckt, Denkmale errichtet. Attentäter ist
im Falle Elsers aus heutiger Sicht so etwas wie ein Ehrentitel: Das Attentat, die massivste legitime Form des
Widerstands im Dritten Reich.
Attentate im weiteren Sinne
Der Begriff Attentat wird heute nicht mehr ausschließlich im Sinne des politischen Attentats verwendet.
Auch im Zusammenhang mit der Ermordung des Popmusikers John Lennon wird manchmal von Attentat gesprochen.
Attentate auf Gemälde sind eine weitere Erscheinungsform. Ein Beispiel ist das Säureattentat im Louvre im
Jahr auf die "Mona Lisa" von Leonardo da Vinci (1955). Auf die "Nachtwache" von Rembrandt wurden
im Rijksmuseum in Amsterdam bereits drei vandalistische Anschläge verübt: Messerstiche (1911), Messerschnitte
(1975) und Schwefelsäure (1990).
Auch bei Anschlägen auf Bauwerke ist manchmal von Attentat die Rede. Beispiele sind das
Reichstagsgebäude (1933), das World Trade Center (1995, 2001) oder die Untergrundbahn von Tokio (1995).
"Ich habe ein Attentat auf dich vor," so kann man heutzutage auf eine etwas plump-diplomatische Art eine
für den anderen vielleicht unbequeme Bitte einleiten, ohne damit besonderes Entsetzen zu erregen. Das Attentat ist
in der Umgangssprache so stark verankert, dass es keinen heimlichen Schauder mehr verursacht.
1
Imperatoris Theodosii Codex, Liber Decimus, 3.5: Aedificia, hortos adque areas aedium publicarum
et ea rei publicae loca, quae aut includuntur moenibus civitatum aut pomeriis sunt conexa, vel ea quae de iure templorum
aut per diversos petita aut aeternabili domui fuerint congregata, vel civitatum territoriis ambiuntur, sub perpetua conductione,
salvo dumtaxat canone, quem sub examine habitae discussionis constitit adscriptum, penes municipes, collegiatos et
corporatos urbium singularum collocata permaneant omni venientis extrinsecus atque occulte conductionis adtemptatione
submota. Officia etiam palatina decem librarum auri multae subiaceant, si cui adversus praecepta huius sanctionis
venienti aditum adsentatione praestiterint. - http://ancientrome.ru/ius/library/codex/theod/liber10.htm#3
2
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 20 (4): Gegen jeden, der es unternimmt,
diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. -
http://www.bundestag.de/parlament/funktion/gesetze/grundgesetz/gg_02.html
3
Adolf Hitler: Mein Kampf, Erster Band, München 1925 (29. Auflage von 1933 S. 104 f)